PutZEN
Er hatte zu meditieren begonnen. Das würde ihn erden. Nein, er erwarte keine Erleuchtung, darum gehe es nicht. Es gehe einzig um die Erfahrung jedes Augenblicks, wertfrei, um die Beobachtung der Gedanken, wie sie haltlos hin- und herschwirrten, festgehalten werden wollten, doch man müsse atmend sie vorbeiziehen lassen. Vielleicht entstehe so etwas wie Leere.
Im Internet hatte er sich ein Sitzkissen bestellt. Es sah gut aus. Minimalistisch. Er auch, auf dem Kissen. Konzentriert, mit geschlossenen Augen und geradem Rücken. Man solle ihn nicht stören. Bitte.
In jedem Falle, auch wenn Zeitlosigkeit das Ziel ist oder der Weg, was auf dasselbe hinausläuft, wie sie verstand, kostete das Meditieren Zeit, denn Zeit floss einfach weiter und kümmerte sich wenig um hin- und herschwirrende Gedanken oder wertfreie Beobachtung. Denn die Zeit legte Staub auf die Möbel, Schweiß und andere Körperflüssigkeiten in die Wäsche, Wollflusen und Fußabdrücke auf den Boden, Vogelkacke auf die Fensterscheiben, Zahnpastareste in das Waschbecken, schleimige Pfützen in die Dusche. Die Zeit riss Löcher in Kleidungsstücke, verstopfte den Ausguss, weigerte sich, das Geschirr zu spülen, grub trotzdem Löcher in die Mägen.Die Zeit verschliss die Dinge und man musste sie daran hindern. Was er nicht tun konnte, da er seine Zeit zum Meditieren nutzte.
Zudem hatte er mit fortlaufender Praxis herausgefunden, dass es gut sei, in der Gruppe zu meditieren. Zu dieser Gruppe musste man hinfahren und man musste auch wieder zurückfahren, worum die Zeit sich nicht im Geringsten scherte.
Wollten sie also nicht in der Zeit untergehen und wollte sie ihr Verständnis seiner gelegentlichen Erläuterungen philosophischer Hintergründe seines Tuns nicht verleugnen - sie begriff und hieß gut - musste also sie putZEN. Denn beide hatten auch noch etwas anderes zu tun, wie z. B. sich um die Kinder zu kümmern oder Geld verdienen, damit man sich ein minimalistisches Meditationskissen sowie eine Geschirrspülmaschine kaufen konnte, ganz zu schweigen von Wischlappen. Die musste man spätestens jede Woche wechseln in der Küche, weil sonst die Zeit den Bakterien günstiger ist. In der Küche besonders, auch wenn wir glauben, auf der Toilette. Aber da irren wir.
Ohne jeden Zorn - so viel hatte sie verstanden, dass also der Zorn auf den anderen der Zorn auf sich selbst ist, da der andere nichts ist als ein Spiegel und mehr noch : die eigene geistige Schöpfung - widmete sie sich der Hausarbeit.
Spätabends, beim Aperol, auf dem frisch gewischten Balkon, erläuterte er ihr die wesentlichen Prinzipien des Zen, wenn man hier überhaupt von Prinzipien sprechen kann. Aber nun gut, der Mensch denkt, und immer versucht er alles in Worte zu fassen, insbesondere der männliche Mensch, auf der Suche nach dem reinen Geist,
was sie hinnahm, vielleicht auch annahm, während sie sich der Materie widmete.
Da man aber den Geist ja nicht loswird, meditierte sie während der Arbeit an der Materie über z. B. die Vergänglichkeit aller Dinge. Sie sah sich selbst als Teil des Ganzen an, während sie die Spuren ihrer fettigen Finger von der Kaffeemaschine wischte. Mit bloßer nackter Aufmerksamkeit konnte sie eine Spinne hinter den Vorhängen entfernen, ohne wie zuvor hysterisch nach ihm, dem Versunkenen, zu rufen. Sie deutete nichts daran, dass die Blumen welkten und auf den Kompost gebracht werden mussten und betrauerte deren Tod nicht im Geringsten.
Die Alltagswirklichkeit ist wie ein Traum, den wir uns selbst gebastelt haben, eine Erfindung unseres Geistes. Ja. Aber man bewegte sich mit einem Körper in ihr. Und also konnte sie auch, da die Zeit für das Fitnessstudio nun fehlte, das PutZEN gut nutZEN, um z.B. bewusst Kniebeugen zu machen, wenn sie den Wischfeudel aufhob, sich bewusst zu strecken, wenn sie die alten Marmeladengläser oben auf dem Schrank verstaute, bewusst atmen, während sie treppauf treppab trippeltrab die Materie und sich selbst in ihr bewegte, bewusst Gewichte stemmen, wie z.B. die schweren Blumenkübel der Terrasse. Da der Geist nach Beschäftigung schreit wie ein Säugling und sehr zornig werden kann, wenn er nicht gefüttert wird, ließ sie das Gießen der Pflanzen wurde zur Meditation über die fließende Wandlungskraft des Wasserelements werden. Beim Rühren der brodelnden Suppe auf dem Gasherd meditierte sie über die
verwandelnde und reinigende Kraft des Feuers. Das Schleppen der Einkaufstaschen, das ihre Arme gen Boden zog, nutzte sie um über die stabile, aber auch festhaltende Kraft der Erde zu meditieren. Als eines Tages alle alten Fotos, die sie fein ordentlich nach Jahreszahlen geordnet hatte, durch einen plötzlichen Windstoß wieder durcheinander gewirbelt wurden, war sie sich der transformierenden Energie der Luft bewusst, auch der Ewigkeit jedes Augenblicks, denn die Fotos noch einmal in eine Chronologie zu bringen, hatte sie keine Lust.
Wissend, dass wir unseren Geist nicht in Schubladen packen und vom Ganzen abtrennen können, da wir dann ein Konzept erstellen, dass uns vom Ganzen trennt, ordnete sie das Besteck in die Küchenschublade, die Schlüssel im Schlüsselkasten und die Unterwäsche in die Kommode, was, wie sie wusste, nur scheinbar widersprüchlich war, da die Wirklichkeit niemals dualistisch ist.
Jedes Ding, das sie berührte, und sie berührte unentwegt, das bleibt nicht aus, ließ sie wieder los, im Körper und im Geiste.
Während sie das Fenster putzte, meditierte sie über die kristallklare Durchsichtigkeit des wahrhaften Sehens. Sie rückte das Sofa vor, entdeckte Verborgenes und leuchtete mit der Taschenlampe in die Ecken hinter dem Schrank das Licht der Wahrheit, das die Dunkelheit erhellt, die jedoch auch ihre Berechtigung hat, da ja nichts Duales existiert, weshalb sie das Sofa wieder zurückruckte, orthopädisch
geschult mittlerweile, muskelgestärkt, fit, und die Taschenlampe in der dafür vorgesehenen Schublade verstaute.
Da jede Art von Leiden durch Anhaftung entsteht, gab sie weg: Altkleidersammlung, Bücherzelle, Flohmarkt. Sie gab stets ihr Bestes und klammerte sich nicht an das Ergebnis. Im Arbeitszeugnis des Universums oder Gottes oder Buddhas oder aus wessen Firma auch immer, hätte gestanden, dass sie ihre Aufgaben stets zur vollsten Zufriedenheit erledigte.
Dabei erreichte sie nichts und suchte nichts, was sich erreichen ließe, da ihr die Vergänglichkeit aller Dinge und der ewige Wandel tagaus tagein deutlich vor Augen stand. Klaglos wischte sie den Boden, der am nächsten und übernächsten Tag wieder dreckig sein würde und gewischt werden müsste und dachte dabei nicht einmal an Sisyphos.
Das Denken gab sie überhaupt nach und nach auf, putzte nur noch, putzte einfach und an einem Donnerstagvormittag, um 8.26, während er auf seinem Kissen ein Koan zu lösen versuchte und sich verschwommen ihr eigenes Gesicht auf der polierten Herdplatte spiegelte, wurde sie erleuchtet. Aber darum geht es ja gar nicht. here to edit...
Die Meditation entspricht dem Urprinzip des Neptun, widerspiegelt ein Möglichkeit, den Neptun-Anteil in uns zu verwirklichen, in diesem Fall das Eintauchen in die innere Welt, die transzendentale, spirituelle Dimension. Zum Neptun gehört das Sternzeichen der Fische.
Das Putzen der Frau entspricht dem Jungfrau - Prinzip oder auch dem sechsten Haus. Es geht hier um die Bewältigung des Alltags, das Dienen, damit die Dinge funktionieren.
Im Tierkreis stehen sich die beiden Prinzipien gegenüber. Da aber, wie es im Text ja auch heißt, nichts Duales existiert, gehören sie eigentlich zusammen. Geist und Materie sehe ich als eine Einheit. Es geht darum, den Himmel auf die Erde zu holen.